Die sieben Leben der Sea Cloud

Auf einem Kurs, der Geschichte geschrieben hat.
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Die sieben Leben der Sea Cloud

Geld spielte keine Rolle, als Wall-Street-Broker Edward Francis Hutton 1931 die damals größte private Segelyacht der Welt in Kiel bauen ließ. Bei der Innenausstattung der neuen „Hussar“ ließ er seiner Frau, der mondänen Marjorie Merriweather Post, freie Hand. Sie richtete den Viermaster stilbewusst mit ausgesuchten Antiquitäten ein und prägte so seinen unverwechselbaren Charakter. Mindestens neun Monate verbrachte Familie Hutton jedes Jahr auf See und steuerte die exotischsten Ziele an.

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„Vier Masten!“, darauf hatte die exzentrische Marjorie Merriweather Post bestanden. Schließlich galt es, die Dreimaster ihrer Millionärs-Bekannten zu übertrumpfen. Marjorie bewegte sich in elitären Kreisen: Als Erbin des „General Foods“-Konzerns und erfolgreiche Geschäftsfrau gehörte das Repräsentieren zu ihrem Alltag. Ob in ihrer Villa Mar-a-Lago in Florida, den Appartements in der New Yorker Fifth Avenue oder an Bord einer Privatyacht – Marjorie liebte es, ihre Gäste mit Luxus zu beeindrucken.

Bei ihrem Ehemannn, dem gutaussehenden Financier Edward F. Hutton, rannte sie damit offene Türen ein. Auch er war in Reichtum großgeworden und addierte der Familienflotte der Huttons gerne ein weiteres Schiff hinzu. 1931 ließ er die heutige SEA CLOUD nach Plänen des renommierten amerikanischen Konstruktionsbüros Gibbs & Cox auf der Germania Werft in Kiel bauen.

Marjorie war verantwortlich für die Inneneinrichtung des neuen Viermasters. Fast zwei Jahre nahm sie sich Zeit, um ihr „Baby“ vom Feinsten auszustatten. In einem Lagerhaus in Brooklyn zeichnete sie den Aufriss der Schiffsinnenräume im Originalmaßstab auf den Boden. Dann baute sie dort die liebevoll ausgesuchten Antiquitäten so auf, wie sie später in den sieben Luxuskabinen stehen sollten. Marjorie kaufte französische Antiquitäten und Anrichten im altdeutschen Stil, kombinierte zierliche Nachttischchen mit wuchtigen Tafeln und ließ goldene Wasserhähne in Form von Schwänen anfertigen. Ihr ganz eigener Stilmix aus Kreativität und Dekadenz bringt einen auch heute noch zum Staunen.

Nach ihrem Stapellauf in der letzten Aprilwoche 1931 wurde die damals größte private Segelyacht der Welt auf den Namen HUSSAR getauft. Der Rahsegler mit dem schwarzen Rumpf sollte die Huttons nun standesgemäß überall dorthin bringen, wo sie ihre Anwesenheit aus Gründen der Repräsentation, des Geschäftsinteresses oder einfach aus Abenteuerlust für wünschenswert hielten. Marjorie, Edward und ihre Tochter Nedenia, genannt „Deenie“, steuerten so exotische Ziele wie die Galapagos-Inseln oder Hawaii an.

Doch das Luxusleben unter weißen Segeln wurde schon bald überschattet: Die Ehe von Marjorie Merriweather Post und Ed Hutton geriet in eine Krise – und im August 1935 ließ sich das Paar scheiden.

Nach der schmerzlichen Trennung von ihrem Mann hatte Marjorie schnell Trost bei ihrem alten Freund Joseph E. Davies gefunden. Der war so ganz anders als der konservative Edward – nämlich monogam, liberal und politisch aktiv. Der erfolgreiche Anwalt kannte sich aus in der Welt: Er war nach dem ersten Weltkrieg bei den Friedensverhandlungen in Versailles einer der Wirtschaftsberater von Präsident Wilson gewesen.

Die Hochzeit mit Joseph am 15. Dezember 1935 gab Marjories Leben eine neue Richtung: Fortan bewegte sich die attraktive Frau nicht nur in den Kreisen der Wirtschaftsmagnaten, sondern auch in der Welt der Politik und Diplomatie. Anfang 1937 übernahm Davies das Amt des amerikanischen Botschafters in Moskau. Die SEA CLOUD wurde nun als schwimmender (und abhörsicherer) Diplomatenpalast nach Leningrad beordert. Damit nahmen die gesellschaftlichen Verpflichtungen für die SEA CLOUD noch einmal deutlich zu.

Marjorie verstand es glänzend, Kontakte zur diplomatischen Szene zu knüpfen. Und die Sowjet-Prominenz nahm ihre Einladungen gern zum Anlass, das westliche Luxusleben näher zu studieren. Auch eine Reihe gekrönter Häupter war zu jener Zeit zu Gast auf der SEA CLOUD, darunter Königin Elisabeth von Belgien.

Mit der Zeit jedoch wurden die von Leningrad aus gestarteten Reisen zunehmend bedrohlicher. Immer öfter begegnete die SEA CLOUD unterwegs Kriegsschiffen. Eine ins Schwarze Meer geplante Fahrt wurde abgesagt, weil dort bereits feindliche U-Boote auf Station gegangen sein sollten. Im Juni 1938 nahm die SEA CLOUD Abschied von der UdSSR und segelte nach Istanbul.

Die meisten Gäste an Bord der SEA CLOUD gehen achtlos an der kleinen, weißen Tafel mit den fünf Messing-Winkeln vorüber, die an der Stirnseite des Ruderhauses unterhalb der Brücke verschraubt ist. Nur die wenigsten wissen: Jeder Winkel steht für ein halbes Jahr aktiven Kriegsdienst für die USA.

Die patriotische Tat von Marjorie und ihrem dritten Ehemannes Joseph Davies wird vielfach als heroisches Opfer bezeichnet: Anstelle eines Sohnes hätten sie die SEA CLOUD in den Zweiten Weltkrieg geschickt. Doch tatsächlich hatte das Ehepaar noch kurz vor Kriegseintritt der USA versucht, den Windjammer zu verkaufen. Zu diesem Zeitpunkt war der Markt für Luxusyachten jedoch schon zusammengebrochen. Nur 275.000 Dollar hätte Marjorie für ihr Prachtstück noch bekommen, so ergab eine Schätzung.

Die Vereinigten Staaten wurden Ende 1941 durch den Überfall auf Pearl Harbour in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen. Und schon kurz darauf begann die Navy, Privatyachten für die Verstärkung der Flotte zu akquirieren und für die U-Boot-Jagd, für Patrouillenfahrten und für die Wetterbeobachtung auszurüsten.

Präsident Franklin D. Roosevelt, der mit dem Diplomaten Davies eng befreundet war, hatte den Kriegsdienst der SEA CLOUD zunächst mit der Begründung abgelehnt, die Yacht sei viel zu schön für einen solchen Einsatz. Aber 1942 konnten sich auch die USA ästhetische Kategorien dieser Art nicht mehr leisten. Für den symbolischen Charter von einem Dollar übernahm die Coast Guard die SEA CLOUD, demontierte die Masten, die Galionsfigur und den Bugspriet und ließ den Schiffsrumpf grau anstreichen.

Von der imposanten Millionärsyacht war nicht mehr viel übrig geblieben. Ausgerüstet mit Geschützen und Anti-U-Boot-Waffen kreuzte sie nun unter dem Namen IX-99 im Seegebiet um die Azoren und südlich Grönlands. Als schwimmende Wetterstation funkte das Schiff alle vier Stunden aktuelle Daten nach Arlington/Virginia.

Als eines der ersten Coast-Guard-Schiffe gab die IX-99 auch Afro-Amerikanern die Chance, sich im Seedienst zu beweisen. Zur 173-köpfigen Crew an Bord gehörten auch vier schwarze Offiziere und 50 Bootsmänner – ein kritisch beäugtes Experiment zu jener Zeit. Doch die Crew bewährte sich: Ende 1944 konnten Marjorie und Joseph die SEA CLOUD wieder in Empfang nehmen.

Während alle anderen Yachteigner ihre Schiffe im Krieg verloren oder an die Navy verkauft hatten, war die SEA CLOUD unmittelbar nach dem Kriegsende das einzige private Luxusschiff dieser Größe, das sich noch in Fahrt befand. Bereits am 4. Juli 1946 starteten Joseph und Marjorie zusammen mit sieben Freunden zu einer Fahrt zu den Küsten Floridas. Die Segelyacht musste zwar noch ohne ihre Masten auskommen, war aber wieder strahlend weiß gestrichen worden – und ihren Bug zierte erneut der goldene Adler.

Im Sommer 1947 wurde die Takelage wiedererrichtet. 1949 endlich erhielt die SEA CLOUD einen vollen Satz neuer Segel, die nach dem Krieg selbst für Millionäre schwer zu bekommen waren. Insgesamt dauerte die Wiederherstellung der SEA CLOUD also fast vier Jahre. Voller Aufregung erwarteten Joe und Marjorie in einer der oberen Etage eines Palm-Beach-Hotels schließlich die Rückkehr ihres wiederhergestellten Schiffes. Als es endlich unter vollem Zeug am Horizont auftauchte, bemerkte Joe zu Marjorie: „Well, Dear – there goes your Baby.“

Selbige machte sich sofort daran, ihr Baby und damit sich selbst wieder in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses zu manövrieren. Die größte und schönste Privatyacht Amerikas wurde nun meistens vor der Ostküste der USA gesichtet. Joe Davies, der zur Seekrankheit neigte, war es ganz recht, nicht mehr auf Entdeckungsfahrt in wenig bekannte Gewässer gehen zu müssen. Nun konnte er sich ganz auf seine Freundschaften konzentrieren, etwa zu dem Diktator der Dominikanischen Republik, Rafael Leonidas Trujillo. Der Diktator wurde häufiger als alle anderen an Bord bewirtet und hatte schon damals ein höchst begehrliches Auge auf die Yacht geworfen.

Unterdessen kam Marjorie zu dem Schluss, sie könne die Luxusyacht nicht mehr unterhalten – die Kosten für die 72 Mann Besatzung waren ins Unermessliche gestiegen. Auch geriet die dritte Ehe der mittlerweile 78-jährigen in die Krise. Und so entschloss sie sich Anfang der 50er-Jahre, ihr Schiff zu verkaufen.

Monatelang suchte Marjorie für die SEA CLOUD einen Käufer. Das war das Signal für jenen Mann, der häufiger als jeder andere als Gast an Bord geladen worden war: Rafael Leonidas Trujillo Molina, brutaler Staatschef der Dominikanischen Republik. Der selbstherrliche Tyrann mit der Vorliebe für prunkvolle Uniformen hatte 1930 nach einem Putsch die Macht ergriffen. Zwanzig Jahre später beherrschte er sämtliche Wirtschaftszweige: Er dominierte Banken, Presse und die Tabak-, Rum- und Zuckerindustrie. Ihm stand praktisch die Staatskasse des ganzen Landes zur Verfügung.

1955 kaufte Trujillo die SEA CLOUD – und gab ihm sogleich einen neuen Namen: ANGELITA. Doch bereits nach kurzer Zeit verlor der Diktator das Interesse an seinem Neuerwerb. Kurzerhand überließ er die ANGELITA seinem Sohn Rafael jr., genannt Ramfis. Der widmete sich statt seinem Jura-Studium in den USA lieber seiner Karriere als Playboy und Partylöwe. Unter Ramfis’ Kommando sprudelte der Champagner auf dem Windjammer in Strömen und Hollywood-Stars gingen auf der ANGELITA ein und aus.

Als Ramfis rund eine Million Dollar verprasst hatte, wurde es seinem Vater dann doch zu bunt: Er beorderte das Schiff zurück nach Hause und warf den Sohnemann von Bord. 1961 war dann für den Diktator selbst die Party endgültig vorbei. Am 30. Mai geriet sein Autokonvoi in einen Hinterhalt und Trujillo wurde erschossen. Sein Clan konnte sich nach dem Attentat nicht mehr lange an der Macht halten. Noch im selben Jahr wurde seine Familie gezwungen, die Dominikanische Republik zu verlassen.

Sohn Ramfis ließ seinen Vater exhumieren und versuchte, sich auf der ANGELITA mit dem Leichnam, einem Teil des Trujillo-Clans und enormen Mengen Bargeld Richtung Cannes abzusetzen. Doch kurz vor den Kanarischen Inseln erreichte die ANGELITA ein Funkspruch: Die neue Regierung zwang die Besatzung zur Rückkehr. Die ANGELITA segelte in die Dominikanische Republik zurück, wurde in PATRIA umbenannt und erneut zum Verkauf angeboten.

Nachdem die Dominikanische Regierung ihm die PATRIA verkauft hatte, plante der neue Eigner Clifford Barbour, sie zu altem Glanz zurückbringen. Als exklusives Kreuzfahrtschiff sollte der Windjammer wieder der Stolz der Weltmeere werden. Barbour benannte die PATRIA in ANTARNA um und wollte sie in Neapel grundüberholen lassen. Doch es gab massiven Ärger mit den amerikanischen Steuerbehörden. Das Schiff wurde an die Kette gelegt und erneut zur Untätigkeit verdammt.
Da trat die 26 Jahre junge Stephanie Gallagher auf den Plan. Mit ihrem Mann Charles war sie besessen von der Idee der „Oceanic Schools“. An Bord von Großseglern sollten Studenten ihre akademischen Studien durch ein Programm auf See ergänzen. Stephanie Gallagher fädelte mit Clifford Barbour einen Deal ein: „Oceanics“ würde alle offenen Rechnungen und Gebühren der ANTARNA bezahlen. Im Gegenzug solle der Eigner ihr die Yacht für eine extrem geringe Charterrate überlassen.
An die Details dieses mündlichen Vertrags erinnerten sich die Beteiligten später leider sehr unterschiedlich. Stephanie ließ die ANTARNA durch ihre engagierte Crew aus jungen Leuten instandsetzen und stach in See. Clifford Barbour und sein Vertreter John Blue blieben an Land zurück – mitsamt den Schiffspapieren. Sie stritten ab, Stephanie die Yacht zur Verfügung gestellt zu haben und verfolgten sie von nun an als Piratin.
Auch sonst lief es an Bord nicht gerade rund: Das Kühlsystem war ausgefallen, die Maschinen überhitzten und die Stimmung wurde zunehmend angespannter. Welchen Hafen die ANTARNA auch anlief, John Blue war schon da, um „sein“ Schiff zurückzuerobern. In Panama kam Blue schließlich mit Anwälten und Polizisten an Bord. Das Schiff wurde nach Drogen durchsucht, von der Frischwasserversorgung abgeschnitten und so lange drangsaliert, bis die Gallaghers und ihre Crew aufgaben und verschwanden.

Acht Jahre lang war die ANTARNA der zerstörerischen Sonne und hohen Luftfeuchtigkeit Panamas ausgeliefert. Doch dann nahte die Rettung – in Person eines Hamburger Kapitäns.
Im Hafen von Colón bot die ANTARNA ein trauriges Bild. Seit acht Jahren war der einst so selbstbewusste Windjammer nicht mehr bewegt worden. Nun setzte das tropische Klima der Takelage, den Decks und dem Rumpf erheblich zu. Doch obwohl sie nicht mehr „im Geschäft“ war, wurde die schwimmende Legende von den Liebhabern stolzer Segelschiffe nicht vergessen.
Einer von ihnen war der Deutsche Hartmut Paschburg, Kapitän auf großer Fahrt und Diplomvolkswirt, der zuvor bereits mehreren alten Segelschiffen neues Leben eingehaucht hatte. Er erkannte schnell, dass die ANTARNA trotz erheblicher Mängel eine gute Chance hatte, noch einmal aus ihrer Agonie herausgerissen zu werden. Gemeinsam mit einer Gruppe Hamburger Kaufleute erwarb er die Luxusyacht – und gab ihr als erstes ihren alten Namen zurück: SEA CLOUD.
Doch das härteste Stück Arbeit stand Kapitän Paschburg noch bevor: Er musste seine Neuerwerbung über den Atlantik holen. Mitte Juli 1978 flog Paschburg dazu mit 38 unternehmungslustigen Männern und zwei Frauen nach Colón. Gemeinsam mit panamaischen Arbeitern schufteten sie die nächsten Monate, um die verrottete Yacht halbwegs seetüchtig zu machen. Mitte Oktober hieß es dann: „Leinen los!“ – die SEA CLOUD nahm Kurs auf Europa. Und am 15. November 1978 war es schließlich so weit: Die SEA CLOUD lief im Hamburger Hafen ein, wo sie von Tausenden begeistert begrüßt wurde.
Die neuen Eigentümer überkamen beim Anblick ihrer Segelyacht jedoch zwiespältige Gefühle. Schnell wurde klar, dass doch sehr viel mehr Geld zu investieren sein würde als zunächst geplant. Im Februar 1979 wurde die SEA CLOUD durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel verholt, und die Howaldtswerke-Deutsche Werft AG, Nachfolgerin der Germania-Werft, machte sich an die umfangreichen Instandsetzungs- und Umbauarbeiten. Schon acht Monate später ging die SEA CLOUD auf ihre erste Kreuzfahrt unter neuer Flagge.
Seitdem ist die prächtige Diva wieder auf den Weltmeeren zu Hause – und erhält die Aufmerksamkeit und Pflege, die sie verdient. Von November 2010 bis April 2011 wurde die Windjammer-Legende in der Bremerhavener MWB-Werft an die neuen SOLAS-Vorschriften (SOLAS = Safety of life at sea) angepasst. In frischem Glanz zeigte sich die Viermastbark dann zwischen dem 2. und 13. Mai 2011 zum ersten Mal seit 33 Jahren wieder in Hamburg an der Überseebrücke und nahm auch an der Ein- und Auslaufparade des HAFENGEBURTSTAG HAMBURG teil.
Die jüngste Renovierung hat ihrer Aura neuen Glanz geschenkt. Ihre Schönheit verzaubert. Ihr majestätischer Stolz zieht alle in ihren Bann. Für viele ist die SEA CLOUD der wahre Mittelpunkt einer Reise – und einfach unvergleichlich.

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